BiblisDer lange Abschied vom AtomFünf Jahre nach Abschaltung des Kernkraftwerks stellt die Gemeinde Biblis die Weichen für eine Zukunft ohne Atomwirtschaft - doch deren Erbe bleibt ihr erhalten.
Eine Multimedia-Reportage von Stephan Loichinger
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Weichenstellung
Mit der Abschaltung gingen auch eine Menge Jobs verloren. Derzeit
arbeiten zur Vorbereitung des Rückbaus der beiden Reaktorblöcke noch 320
Menschen für RWE in Biblis.
Im Haushalt der Kommune klaffte wegen des Ausfalls an Gewerbesteuer plötzlich ein 1,6 Millionen Euro großes Loch. Die Gemeinde erhöhte die Grundsteuer und strich Stellen in der Verwaltung. Als Kompensation reicht das aber immer noch nicht. Das Haushaltsdefizit beträgt derzeit 600.000 Euro.
Biblis musste in den fünf Jahren seit der Abschaltung die Weichen für seine Zukunft neu stellen.
Neue Arbeitsplätze
Die bevorstehende Ansiedlung eines Logistik-Unternehmens ist nicht unumstritten, auch wenn es 500 neue Arbeitsplätze schafft: Dort werden hauptsächlich Geringqualifizierte arbeiten, das Kernkraftwerk bot dagegen hochspezialisierte Jobs.
Stolz ist Bürgermeister Kusicka darauf, dass nicht länger Bürger aus Biblis wegziehen wie nach 2011, sondern die Einwohnerzahl seit 2014 wieder steigt. Das geplante neue Wohnviertel mit Niedrigstenergiehäusern soll nicht zuletzt Familien anziehen.
Schlafstadt
Zum nötigen Strukturwandel gehört auch, dass sich Biblis künftig vielleicht stärker als bislang als Schlafstadt verstehen muss. Nach Mannheim sind es 25 Kilometer, nach Frankfurt 60. Zahlreiche Berufstätige pendeln dorthin. In zwei Jahren soll Biblis einen S-Bahn-Anschluss nach Mannheim erhalten.
In die Natur gelangt man auch gleich: an den Rhein im Westen, an die Bergstraße und in den Odenwald im Osten.
Vor dem alten Rathaus erinnert eine Skulptur an die Zeit, als Biblis noch kein Synonym für Atomkraft war, sondern für Gurkenanbau. Auch das ist Vergangenheit. In der alten Gurkenfabrik werden heute Möbel und Kleidung verkauft.
Geschäfte
Die Bibliser waren immer pro Atom - hier gibt es nicht einmal einen Ortsverein der Grünen. Wer für RWE arbeitete, verdiente gut. Wer als Ingenieur zur Revision der Reaktoren kam, gab in Biblis gutes Geld aus: beim Bäcker, im Restaurant, im Motel.
Viele leer stehende Ladenlokale sind in Biblis nicht zu sehen, die Bäckereien schließen nur zur Mittagszeit. Eine Verkäuferin berichtet, die Geschäfte liefen gut, ihre Filiale habe gar erst vor drei Jahren eröffnet. Eine Verkäuferin in einer Metzgerei sagt, sie wiederum merke den Rückgang an Kunden seit der Abschaltung des AKW durchaus.
Der Betreiber des Motels Route 44 gibt an, direkt nach 2011 seien weniger Gäste gekommen. Inzwischen habe er das Ausbleiben der Ingenieure aber ausgeglichen.
Protest
Trotz der Abschaltung des AKW bleiben Biblis und Atom noch lange miteinander verbunden. Die radioaktiven Brennelemente sollen im Zwischenlager am Kernkraftwerk aufbewahrt werden, bis ein zentrales Endlager in Deutschland gefunden ist.
Weder Bürgermeister Kusicka noch die Bürgerinitiative AKW.Ende Bergstraße rechnet damit, dass dies noch in diesem Jahrhundert geschieht. Auch bei den Bibliser Sozialdemokraten ist man unzufrieden, weil der Atomausstieg ohne Endlager vollzogen wurde und der Atommüll noch viele Jahre in Biblis bleibt.
Dann ist da noch die Frage, ob das Zwischenlager für eine längere sichere Aufbewahrung der Castoren geeignet ist.
Strahlende Zukunft
Der Betreiber RWE will mit dem Rückbau des Kernkraftwerks Biblis 2017 beginnen. Bis dann sollen alle Brennelemente ins Zwischenlager gebracht sein. Der Rückbau soll 15 Jahre dauern.
Was mit der Betonhülle des Reaktors geschieht, ist unklar. Gut möglich, dass sie stehen bleibt. Vielleicht findet sich eine neue Verwendung für die Halle. Vielleicht wird sie am Ufer des Rheins von einer Zeit künden, als das kleine Biblis eine strahlende Zukunft vor sich hatte.